„G8“ – der Tod des Leistungssports?

„G8“ – der Tod des Leistungssports?

Im Ergebnis der Olympiaauswertung 2012 stellt die DOSB-Führung fest, dass der Ausbau von Ganztagsschulen, die gymnasiale Schulzeitverkürzung (G8) bis zu Schulschließungen die Arbeit von Sportvereinen nachhaltig verändert haben. Dadurch gehe die Anzahl der leistungssportorientierten Kinder zurück und die Talentbasis werde geringer. Die gymnasiale Schulzeitverkürzung mit dem so genannten „Turboabitur“ engt durch die Verlagerung von Unterricht auf die Nachmittage den Spielraum für den Trainingsbetrieb stark ein.

Die Nachteile gehen aber laut Meinung der Kritiker weit über diesen Fakt hinaus. Danach führte „G8“ bei Schülern zu Dauerstress, zu geringer Freizeit, Angst vor der Schule, stressbedingten Erkrankungen und Schulwechsel trotz guter Noten. Bei den Eltern wachse die Angst um die Zukunft der Kinder, die Motivation der Kinder würde erschwert. Die Ratlosigkeit steigt, weil Politik und Schule kaum Antworten auf die Fragen besorgter, zum Teil verzweifelter Eltern geben. Die Lehrer würden bedauern, dass Unterrichtsinhalte nicht gefestigt und vertieft werden könnten.

Interessanterweise kommt die Kritik vorwiegend aus den westdeutschen Bundesländern. Die Ursache liegt darin, dass mit dem Wechsel von G9 zu G8 versäumt wurde, das deutsche Schulsystem zu reformieren. Inzwischen streben einige Bundesländer einen Kompromiss an („Wahlfreiheit“). Womit die Fülle verschiedener Schulwege in der BRD weiterhin zunimmt, der „föderale Irrgarten“ (Spiegel, 48/2012, S.37) wird noch unübersichtlicher. Eine Studie (Kess-Erhebung „Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern“) bescheinigt G8-Absolventen ein höheres Leistungsniveau als G9-Absolventen. Bildungsexperten bezweifeln den mit G9 verbundenen „Entschleunigung-Effekt“. Stress ist dem hohen Leistungsdruck und dem Zweifel an der Relevanz der schulischen Lerninhalte geschuldet und nicht den 4-6 Stunden mehr Unterricht pro Woche (1999, Bos & Weishaupt). Wichtige wäre folglich, die Lehrpläne zu entschlacken, aber das erfordert flexible Kultusminister.

Der organisierte Sport sieht aber in der Entwicklung zur Ganztagsschule auch eine große Chance, das Bewegungs- und Sportangebot für Kinder- und Jugendliche erweitern zu können, indem sich die Vereine aktiv in den Ganztagsschulprozess einbringen (Bach 2011). Tatsächlich kooperieren bereits 85,1% der Sportvereine mit den Ganztagsschulen in der Primarstufe, 70,5% in der Sekundarstufe I. Sie sind aber im Gegensatz zu den anderen Kooperationspartnern (musisch, technisch usw.) in die Schulgremien eingebunden und haben dadurch weniger Einfluss. Sie werden dadurch mehr Dienstleister und nicht gleichberechtigte Partner. Hier erschließen sich noch Reserven für eigenständige Inhalte und Ziele des Sports im Ganztag auf Vereinsebene (Züchner 2011).

Übrigens: In den ostdeutschen Bundesländern wurde das Abitur schon immer nach acht Jahren abgelegt. Die Absolventen stehen inzwischen als gebildete, fleißige und ambitionierte Arbeitskräfte gleichberechtigt an der Seite ihre „G9-Kollegen“ ihren „Mann“. Aber G8 und Ganztagsschule gehören zusammen. Und der Sport sollte diese neue Struktur als Chance nutzen. Das zu verändern ist Sache der Politik und der Vereine. Eltern und Trainer sind allein zu schwach, um die Probleme zu lösen.

Nachsatz: Fazit nach fast 20 Jahren kontroverser Auseinandersetzungen: die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre hatte zumindest fachlich keine substanziell negativen, aber eben auch keine großen positiven Effekte. Außer, dass junge Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung heute im Mittel zehn Monate jünger sind als vor der Reform. Inzwischen haben fast alle westdeutschen Ländern G9 wieder eingeführt.

„Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück!”

(Quelle Augsburger Allgemeine 25.09.14; Foto: Philodito, Fotolia)

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