Lohnt sich die Sportschule?

Uns wurde gesagt, unser Kind sei talentiert. Muss es nun auf eine Sportschule, um erfolgreich zu schwimmen?

Es gibt wohl kaum ein Talent, dass auf der „faulen Bärenhaut liegend“ zu Erfolg gelangt. In der Musik, wie in der Wissenschaft und so auch im Sport zählt die „10.000-Stunden-Regel“. Diese besagt, dass viel Übungszeit über 10 Jahre erforderlich ist, um ein Meister seines Fachs zu werden. Dirk Nowitzki, einer der erfolgreichsten deutschen Sportler, bringt es auf den Punkt „Es geht nicht ganz nach oben, wenn man sich nicht quälen kann”. Den Streit, was wichtiger sei – Talent oder Fleiß- halte ich für so müßig, wie die „Henne-Ei-Diskussion“.Halten wir fest: Ein ständig zunehmender Trainings- und Belastungsumfang über 10 Jahre ist eine wesentliche Voraussetzung, dass auch ein Talent im Schwimmen zu internationalen Erfolgen gelangt. Schon der Volksmund sagt, dass vor den Erfolg die Götter den Schweiß gesetzt haben.

Abb.: Wöchentlicher Übungsaufwand erfolgreicher Pianisten (Pa) und Schwimmer (DSV-NK) sowie „Freizeit“-Pianisten (Pb) und -Schwimmer (Sb)

Stetig steigender Trainingsumfang heißt, dreimal Training pro Woche im Grundlagentraining, täglich einmal im Aufbautraining und zwei- bis dreimal im Hochleistungstraining. Und jetzt können Sie eine einfache Rechnung aufmachen: Wie viel Zeit pro Woche braucht Ihr Kind für Schule und Training. Und schon kommen Sie zu Ende des Aufbautrainings (z.B. 14 Jahre) zu einer Gesamtbelastung über 50 Stunden. Sie möchten bestimmt auch im Interesse einer harmonischen Entwicklung Ihres Kindes keine Einbuße an Bildung (Schule) oder Gesundheit (Schlaf, Mahlzeiten) zulassen. Und irgendwann passt das alles nicht mehr zueinander, die Gesamtbelastung wird zu groß. Was Sie einmal zum Wohle Ihres Kindes gewollt haben, artet in Stress aus und kehrt sich in das Gegenteil um. Als kritische Größe entwickelt sich dabei die Zeit für Wegstrecken, von der Wohnung zur Schule, zur Schwimmhalle und das bei zwei Trainingseinheiten am Tag doppelt (s. A10).

Aber die Rechnung nach der „10.000-Stunden-Regel“ ist ja nicht so einfach, dass man nur auf die Summe kommen muss, sondern diese Zeit muss mit Inhalt gefüllt sein. Für einen Leistungsschwimmer heißt das, hart auf der Grundlage eines ausgetüftelten Planes zu trainieren. Das erfordert wiederum qualifizierte Trainer und eine Gruppe, die einen mitzieht. Aber zum Umfeld gehört im Leistungssport noch mehr:

  • eine Schule, die auf die sportlichen Belange eingeht,
  • eine trainingswissenschaftliche und sportmedizinischen Betreuung,
  • ein Internat, das die kurzen Wege sichert (s. A.13),
  • eine fachliche Betreuung in der freien Zeit (so notwendig und gewünscht).

Wenn Sie mir sagen, das sichern Sie alles vor Ort, dann können wir die Frage vergessen. Aber selbst Schwimmer/innen im DSV, die bis zu den JEM nicht auf ihre bescheidenen Vereinsbedingungen verzichtet haben, sind dann zu einem Stützpunkt gewechselt oder „in der Versenkung“ verschwunden.

Die mit der Delegierung zur Sportschule verbundene (zumindest zeitweilige) Trennung vom Kind ist für Eltern schmerzlich. Aber ein „ausgebremstes Talent“ ebenso. Die Entscheidung nimmt Ihnen keiner ab. Übrigens gibt es eine weitgefasste Definition von Talent, die die für Höchstleistungen notwendigen sozialen und materiellen Umweltbedingungen mit einbezieht. In dem Sinne sind Sie mit Ihren Entscheidungen ein Teil des Talentes Ihres Kindes.

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