Bedacht bei Verdacht

Unsere 15jährigeTochter machte unlängst einige Andeutungen über ein vermutlich sexuelles Verhalten Ihres Trainers zu einer ihrer Trainingskameradinnen. Nun wissen wir nicht, wie wir uns verhalten sollen, da wir eigentlich ein gutes Verhältnis zu dem Trainer haben.

Ein falscher Verdacht hat Teufelsmacht! (Deutsches Sprichwort)

Erste Bürgerpflicht ist: Diskretion, Ruhe bewahren und eine sorgfältige Prüfung des Vorwurfs. Das ist schon deshalb notwendig, da Sie eine Gratwanderung begehen zwischen Offenlegen und Vertuschen, übler Nachrede (§186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB). Stützt sich Ihr Verdacht auf tatsächliche Anhaltspunkte, dann ist eine Anzeige als „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ (§ 193 StGB) gerechtfertigt. Sie sind als Privatperson aber gesetzlich nicht verpflichtet, bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch eine Strafanzeige gegen den Täter zu stellen. Wenden Sie sich vertrauensvoll an dafür zuständige Personen wie z.B. den Kinderschutzbeauftragten des Vereins/Verbandes oder an die telefonische Anlaufstelle der Bundesregierung (Tel. 0800-2255539). Das ist immer besser als gleich zur Polizei zu rennen, denn viele Verdächtigungen haben sich bei näherem „Hinsehen“ als unwahr herausgestellt. Man geht davon aus, dass bis zu zehn Prozent der Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Falschanzeigen sind. Bevor Sie eine Lawine ins Rollen bringen, denken Sie auch an das angebliche Opfer, das selbst wenn sich der Vorfall als unwahr herausstellt, traumatisiert aus dem Geschehen hervorgehen kann. Auch wenn Sie die Anzeige bei der Polizei zurücknehmen, wird damit das Ermittlungsverfahren nicht beendet. Wenn Sie wider besseres Wissen gegenüber Behörden, eine bestimmte Person einer Straftat bezichtigen, können Sie sich strafbar machen. Besondere Vorsicht ist bei Mitteilung gegenüber anderen Eltern geboten. Für Verdächtige gilt die rechtsstaatlich garantierte Unschuldsvermutung bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Mit Ihrem Ausposaunen haben Sie bereits die Vorverurteilung  des verdächtigen Trainers eingeleitet, denn Ihre Information wird im Verein zum Lauffeuer.  Sportverein wie Fachverband sind verpflichtet, Opfer von sexualisierter Gewalt zu schützen, zu unterstützen und im Regelfall die Strafverfolgungs-behörden über tatsächliche Verdachtsmomente zu informieren. Diese „Garantenstellung“ kommt auch Trainern und Betreuern während Lehrgängen zu. Deshalb haben sie zum Schutz von minderjährigen Athleten jedem Hinweis auf sexualisierte Gewalt nachzugehen. Dabei erschwert eine Reihe von Problemen die Klärung der Sachlage:

  • Ein Missbrauch im Rahmen der Verletzung der Aufsichtspflicht ist in der Regel schwer aufzudecken, da die Verantwortlichen in so einem Fall häufig die Vorkommnisse decken. Grund ist die Angst vor negativer Publicity, wenn ein solcher Fall öffentlich gemacht wird. („In den Verein lass’ ich mein Kind nicht mehr rein, wenn da so was geschieht“).
  • Bestimmte Organisationsstrukturen und -kulturen erleichtern es den Tätern, langsam und unmerklich die Grenzen von angemessener und professioneller Nähe und Distanz zu verschieben. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sexistische Anzüglichkeiten gepaart mit männlicher Kumpanei „zum guten Ton“ gehören und diejenigen, die sich gegen eine solche Kultur wenden, Gefahr laufen, als verklemmt und humorlos sanktioniert zu werden.
  • Es bestehen persönliche Beziehungen und Freundschaften, wo jede und jeder viel über die anderen weiß. Viele glauben dann nur was sie sehen und können oder wollen sich nicht vorstellen, dass diese gute Bekanntschaft Täter oder Täterin sein soll. Eine typische Reaktion ist dann: „Der XY doch nicht, den kenne ich!“
  • Beachten Sie, dass in Trainingsgruppen oft  Neid, Eifersucht („mein Trainer“),  Rollengerangel und selbst unerfüllte Leistungsziele der Nährboden für falsche Anschuldigungen sein können[1].

Letztlich bleibt es eine Gratwanderung, denn Kinder können nicht überblicken, was sie mit falschen Vorwürfen tatsächlich anrichten,  ebenso  ist es eine Katastrophe, bei  vorgefallenem Missbrauch alles “unter den Tisch fallen” zu lassen und dem Kind nicht zu helfen.

Mehr dazu: Konzept des DSV zur Prävention sexualisierter Gewalt (https://www.dsv.de/fileadmin/dsv/documents/dsv/service/regelwerke/2020.09.18_Konzept_zur_Pr%C3%A4vention_sexualisierter_Gewalt_im_DSV.pdf)

Beauftragte des DSV: Franka Weber, Korbacher Str. 93, 34132 Kassel, Email: weber@dsv.de, Telefon: 0173 2332370


[1] Auszüge aus  „Gegen sexualisierte Gewalt im Sport“. DOSB 2011

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