Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Vorstellung von den Dingen. (Unbekannt)
Wie sich das anhört, gehört Ihre Tochter zu den so genannten „Trainingsweltmeistern“, eine Gattung, die sich und dem Trainer das Leben schwer macht und sich manchmal vom Leistungssport verabschiedet, ohne jemals ihre wahren Potenzen ausgespielt zu haben. Die Ursachen liegen weniger im Training, sondern mehr in einem negativen Vorstartzustand. Es wäre auch wichtig, ob das Nervensystem Ihrer Tochter grundsätzlich so gestrickt ist, dass sie in ähnlicher Weise auch Vokabel- oder Mathearbeiten „verhaut“, also Prüfungsangst hat. Die Ursachen sind oft auf Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen: Leistungsdruck durch das Elternhaus, selbst psychisch störanfällige Eltern, Misserfolge in Prüfungen, soziale Abhängigkeiten (Erhalt einer bestimmten Schule, Leistungsgruppe) usw.
Die Inbereitschaftsetzung zum Handeln, ob Vokabelarbeit oder 100m Freistil, wird in der Psychologie als Aktivierung bezeichnet. Eng daran ist der im Sport gebräuchliche Vorstartzustand gekoppelt, der durch Übererregung (Startfieber) oder Untererregung (Startapathie) gekennzeichnet sein kann. Wenn unzureichende Trainingsergebnisse oder sogar Krankheit dem Wettkampf vorausgingen, dann ist ein angekratztes Selbstvertrauen verständlich. Aber im Beispiel Ihrer Tochter ist ja gut trainiert worden und es mangelt „nur“ an der Umsetzung. Sie ist psychisch blockiert.
Startfiebernde Schwimmer erkennt man an Unruhe, Zerstreutheit, Hast, anhaltendes (teilweise sinnloses Armkreisen, beschleunigten Puls (Rötung), stetem Rennen zur Toilette, Schweißausbruch und „lockeren Knie“. Im Wettkampf schwimmen sie kopflos, gehen in bester Absicht, diesmal gut zu sein, viel zu schnell an. Manch kleiner Schwimmer fällt vor Aufregung schon vor dem Start in das Wasser. Die im Training erworbene Technik ist verschwunden, das Wassergefühl gleich mit. Mit Krampf wird versucht, den Wettkampf zu Ende zu schwimmen.
Der startapathische Typ ist träge, gähnt wiederholt und seine Bewegungen sind gehemmt. Er bedauert schlicht und einfach seine Anwesenheit in der Schwimmhalle und würde sich am liebsten drücken (abmelden). Es fällt ihm schwer, sich korrekt einzuschwimmen und zu erwärmen. Im Wettkampf lässt er „prallen“ mit der Ausrede „heute geht es eben nicht“.
Nun sind das psychische Besonderheiten der Schwimmer und keine Krankheiten. Also können sie durch trainingsmethodische Maßnahmen und psychoregulative Verfahren beeinflusst werden. Ein wesentliches Mittel ist aber der Wettkampf selbst, denn ein positiver Vorstartzustand setzt erst einmal ein aus vielen Wettkämpfen resultierendes Selbstbewusstsein voraus.
Durch den Trainer sind konkrete Vorwettkampfprogramme zu erarbeiten, die einmal länger, beruhigend (bei Startfieber) oder „aufputschend“ (bei Startapathie) sein können. Das Wichtigste ist aber die Motivation. Wenn der Kopf signalisiert „Ich schaffe das!“, dann schafft man es auch. Es ist wichtig, sich auf die Herausforderung zu freuen. Und dann einfach nach dem Motto zu starten: Just do it and have fun! (Sturm-Constantin, 2012). Hilft das alles nicht, ist der Psychologe mit seinen verschiedenen Interventionen gefragt (Einsatz von individuell zugeschnittenem Video oder Musik, Kurzeinweisungen, Selbstimage-Training, Imitationsübungen usw.).