Mit vierzehn hielt ich meinen Vater für so dumm, dass ich ihn kaum ertragen konnte. Als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte Mann in sieben Jahren dazugelernt hatte. (Mark Twain)
Was heißt hier „plötzlich“? Ihre Verwunderung können Sie mit dem Winterdienst teilen, der jährlich vom Schnee überrascht wird. Was ist geschehen? Nichts anderes als das, was Sie vor einigen Jahrzehnten auch durchgemacht haben, vielleicht nicht so zeitig, wie die heutige Generation. Natürlich hat sich einiges geändert. So wird die „Bockelphase“ nicht mehr nur mit hormonellen Veränderungen erklärt, sondern mit eingreifenden neurophysiologischen Umgestaltungen. Plötzlicher Leistungsabfall, Vergesslichkeit und Launenhaftigkeit sind der „Großbaustelle Gehirn“ geschuldet, besonders in dem für Emotionen zuständigen Hirnbereich. Trotzdem ist nicht jedes schlechte Benehmen hinzunehmen, denn der Pubertierende kann sein Verhalten durchaus steuern.
Natürlich ist es kompliziert, wie man mit dem „Noch-Kind-fast-Erwachsenen“ umgehen sollte. Gehen Sie davon aus, dass die wiederholte Aufmüpfigkeit nicht gegen Sie gerichtet ist, auch wenn es nicht leichtfällt, das zu glauben. Wenn sie plötzlich mit dem alten Kosenamen und der zärtlichen Umarmung in der Gegenwart Gleichaltriger nicht mehr punkten. Aber verfallen Sie auch nicht in das Gegenteil und delegieren alle Verantwortung nach dem Motto „wen schon-denn schon“ an Ihr Kind. Halten Sie sich lieber vor Augen, was da alles auf Ihr pubertierendes Kind zukommt. Es ist ja nicht nur das Wachsen in alle Himmelsrichtungen, das „Mann oder Frau werden“, die erste Verliebtheit, zugleich müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden über die weitere schulische Laufbahn, Jugendweihe oder Konfirmation und im Sport der Übergang in das Anschlusstraining mit höchsten Belastungen durch Schule und Sport.
Zum richtigen Verhalten der Eltern in dieser kritischen Phase ihres Kindes ist viel geschrieben worden (Google: „Pubertät“). Deshalb wenden wir uns dem Spezialfall zu: Leistungssport in der Pubertät.
Ungeachtet dessen, dass dieser Reifeprozess individuell sehr unterschiedlich verläuft, sollte man sich vor Vorbehalten hüten. Als ich noch zur Schule ging, bevölkerte die Mehrheit der 13/14jährigen im Sportunterricht die Bänke und sah zu: Pubertät war „Schonzeit“. Heute wissen wir, dass durch dosierten Sport manche Holprigkeit im Wachstum ausgeglichen wird. Von „motorischen Zerfalls- und Auflösungserscheinungen“ ist nicht mehr die Rede. Wir sehen heute darin eine „Phase der Umstrukturierung von motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (Schnabel 1962). Da kann es schon einmal passieren, dass die mühevoll erlernte Delfintechnik plötzlich nicht mehr so beherrscht wird. Zudem muss auch das „Mehr an Kraft und Körperlänge“ technisch umgesetzt werden. Die kindliche Mühelosigkeit und Leichtigkeit der Bewegungsausführung gehen in schwerfälligere Bewegungen über. Verstärkt treten wieder Nebenbewegungen und Impulsentgleisungen auf. Die Bewegungen werden schlaksiger. Neue Techniken lassen sich nicht mehr so leicht erlernen. Die Tagesform ist instabiler. Das sind Dinge, die besonders im Schulsport auffallen. Im Leistungssport, besonders im Schwimmen als zyklische Ausdauerdisziplin, verlaufen diese „Umbauvorgänge“ unauffälliger (Meinel & Schnabel 2004). Unterschiedliche Wachstumsschübe können aber das gesamte Leistungsgefüge durcheinanderbringen. Die Sieger in dieser Entwicklungsphase sind den anderen oft biologisch um einige Jahre voraus. Besonders bei Spätentwicklern ist Geduld angesagt, da der gleiche Trainingsaufwand zu bescheideneren Ergebnissen führt. Viele Schwimmer fühlen sich in dieser Entwicklungsphase besonders zu ihrer Trainingsgruppe hingezogen. Ein gutes soziales Klima ist dann der bessere „Kit“ als die sportliche Leistung, um die Sportler „bei der Stange“ zu halten. Kontroversen zwischen Eltern und Trainer sind in dem Sinne „tödlich“.
Halten Sie sich immer vor Augen: Rebellion gegen elterliche Konventionen und Zoff ist möglich, ja sogar typisch für dieses Alter, aber keinesfalls verpflichtend. Die mit innerer Unsicherheit einhergehenden Wachstumsveränderungen müssen nicht zwangsläufig soziale Konflikte auslösen. Der dänische Familientherapeut Juul bezeichnet das als „Unsinn“ und begründet das:
„Die Anzahl und Häufigkeit der Konflikte hängt unter anderem von der Fähigkeit der Erwachsenen ab, ihrer veränderten Elternrolle gerecht zu werden, sowie von der Art und Weise, mit der sie der Entwicklung der kindlichen Integrität in den ersten drei, vier Lebensjahren Rechnung getragen haben“ (2012, S.26).
Brenzlig wird es hingegen, wenn Sie jetzt erst versuchen, Versäumnisse nachzuholen. Nach Ergebnissen einer Studie an 7500 Jugendlichen stimmt das Bild vom pöbelnden, unerträglichen Jugendlichen nicht mit der Wirklichkeit überein. Lediglich 5-10% überschreiten die Grenzen und werden straffällig, 85 Prozent der Befragten verstanden sich sehr gut mit den Eltern (Alsaker, 2007). Es wäre auch verfehlt anzunehmen, dass die Jugendlichen mit ihrem Drang nach Autonomie im Gleichschritt die emotionalen Beziehungen zu ihren Eltern aufkündigen. Auch wenn es Ihr Kind nicht so zeigt, Sie werden noch gebraucht.
Was können Sie tun?
- Geduld, Verständnis und Gelassenheit (Sie waren auch mal so, haben es nur vergessen!). Das Gespräch in der Familie (Familienrat) sollte Gewohnheit sein und auf Augenhöhe stattfinden.
- Vertrauen und Freiräume einerseits lassen und manches tolerieren (selbst wenn man es blöd findet). Die Kinder sind eben in dem Alter, wo man Grenzen austesten will, dann darf man sie auch nicht so eng ziehen. Aber wer Grenzen setzt, muss auch darauf bestehen, dass sie eingehalten werden. Wenn Sie es kaum glauben werden, Studien belegen, das größte Vorbild der kratzbürstigen Zicken ist ihre Mutter, auch wenn sie das nie zugeben würden. Sie brauchen eben eine zuverlässige Konstante – die Eltern und gegebenenfalls den Trainer. Dieses Vertrauensverhältnis sollte nicht durch von Misstrauen geprägten Kontrollen (Schultasche, Tagebuch, Manteltaschen) zerstört werden.
- Klare abgewogene Ansagen, Erziehung findet auch noch zwischen 14 und 18 statt (wenn sie sich wie ein Eumel anzieht, das ist ihre Sache, aber wenn die ganze Nacht getwittert wird, dann Computer wegnehmen, denn da geht es um ihre Gesundheit, das trifft auch auf Alkohol und Zigaretten zu. Aber in Notfällen da sein (lieber von der Disco abholen als sie Fremden überlassen).
- Hüten Sie sich vor zu hohen Ansprüchen[1]. Loben Sie nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Mühen auf der Strecke. Vergleichen Sie Ihr Kind nicht ständig mit anderen (wer mag das schon?).
- Tauschen Sie sich mit anderen Eltern und den Trainer aus.
- Geben Sie Verantwortung ab (Wie möchtest Du Dein Zimmer gestalten? Fotoalbum zum Geburtstag der Oma, Radtour planen usw.)
- Auch wenn es noch so „kracht“, geben Sie ihr Kind nie auf.
Zum Lesen empfohlen:
– Dawirs & Moll: Die 10 größten Erziehungsirrtümer und wie wir es besser machen können. Beltz Verlag, 2011
– Juul, J.: Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht: Gelassen durch stürmische Zeiten. Kösel-Verlag, 2010
[1] „Wer die Karriere seines Sohnemanns schon plant, bevor der Kleine selbstständig aufs Töpfchen gehen kann und mit Babyenglisch und Frühförderung versucht, die Weichen für die spätere Laufbahn eines Oberarztes oder Musikdirektors zu stellen, läuft Gefahr, während der Pubertät in Hysterie zu verfallen“ (s. FOCUS Online: http://www.focus.de/schule/familie/erziehung/pubertaet/tid-24826/eltern-und-heranwachsende-von-der-bezugsperson-zum-hauswirt-degradiert_aid_704294.html)