E.01 „Sport ist Mord!“ – „Ist Sport Mord“?
Kennen Sie das: Sie sitzen in geselliger Runde, erzählen voller Stolz von den sportlichen Erfolgen Ihres Sprösslings, aber auch wie er sich dafür „geschunden“ hat. Da kommt, genährt von Neid, Missgunst und Halbwissen der Einwurf „aber Sport ist Mord“. Eine sensationslüsterne Presse tut das übrige dazu. So überschreibt „stern.de“ einen Artikel „Risiko Hochleistungssport –Der Tod trainiert mit“ (16.01.09). Bevor Sie sich noch als Unterstützer einer so grausigen Tat vor dem Kadi sehen, einige aufhellende Worte.
Übrigens wird sich der Sprücheklopfer anschließend in sein Auto begeben haben, ohne darüber nachzudenken, dass er sich in dem Moment einer weit größeren Gefahr aussetzt. Auf Deutschlands Straßen starben in den letzten Jahren rund 4000 Menschen, jährlich! Im Sport sind Todesfälle hingegen sehr selten, etwa 1 auf 100.000 Sporttreibende pro Jahr. Die Verletzungsquote ist im Vereinssport mit 5,1% etwas geringer als im Schulsport mit 5,4% oder im nicht organisierten Sport mit 5,8%. Dabei ist Schwimmen im Vereinssport nicht unter den ersten 15 unfallträchtigen Sportarten zu finden. Im nichtorganisierten Sport stehen Unfälle im Schwimmen mit 3,1% an 10. Stelle, in der Mehrheit Badeunfälle. Die Statistik wird angeführt von Fußball mit 17,2% und Ski alpin mit 10,9%. Auffällig ist hier das Anwachsen der Unfallrate bei den Trendsportarten wie Inline- Skating, Mountain Biking oder Snowboarden[1] . Über 70% der Todesfälle im Sport sind auf Versagen des Herz-Kreislaufs zurückzuführen und hätten auch außerhalb des Sports eintreten können (s. E.02). Ein typisches Beispiel ist der plötzliche Tod des Schwimm-Weltmeisters Dale Oen, der im Alter von 26 Jahren beim Duschen nach dem Training einer Herzattacke erlag. Deshalb ist neben der orthopädisch-unfallchirurgischen Versorgung auch die internistisch-kardiologische Betreuung der Athleten gefordert[2] . Nach fieberhafter Erkrankung die Entlastung zu ignorieren, bezeichnet der bekannte Sportmediziner Prof. Neumann als „vorgeplanten Selbstmordversuch“ [3] .
Nicht erfasst wurden in der Statistik die Fälle, die Doping geschuldet sind und als „Herzversagen“ oder „Multiorganversagen“ in die Statistik eingehen. Auf diese kriminelle Seite des Hochleistungssports wurde bereits eingegangen (s. E.17-19). Allerdings werden Todesfälle im Sport vorschnell mit Doping in Verbindung gebracht. So geschehen bei der weltschnellsten Läuferin Florence Griffith-Joyner. Sie starb an einem Anfall, verursacht durch einen Hirntumor.
Nach diesem kurzen Ausflug in das Gruselkabinett des Sports kommen wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sportliche Untätigkeit birgt viel mehr gesundheitliche Risiken als der Leistungssport. Ich meine damit den organisierten und betreuten Sport. Kritischer ist der Drang vieler Extremsportler, ihre Grenzen auszuloten und zu überschreiten. Bei systematischem Leistungsaufbau, der Beachtung der Einheit von Belastung und Erholung sowie einer regelmäßigen sportmedizinischen Betreuung vertragen weltweit Athleten 30-40 Trainingsstunden in der Woche schadlos. Auch Kinder verkraften unter diesen Voraussetzungen problemlos hohe Trainingsumfänge. Die größere Gefahr geht vom übersteigerten Ehrgeiz der Eltern, Trainer oder Funktionäre aus. Als ich noch ein junger Trainer war, warnten Ärzte und Pädagogen vor Spätschäden bei den von uns betreuten Kindern. Inzwischen sind 50 Jahre vergangen. Die Spätschäden haben sich nicht eingestellt.
Und noch eines: Ein Viertel der Deutschen ist im Wasser hilflos oder kaum in der Lage sich zu retten. Durch den Rückgang des Schulschwimmens und die Schließung von Bädern ist die heutige Schülergeneration weniger schwimmfähig. 2017 konnten den Angaben der Eltern zufolge zehn Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren nicht schwimmen. 2022 waren es 20 Prozent (Forsa-Umfrage). Mit der Zahl der Nichtschwimmer steigt auch die Zahl der Ertrunkenen. Indem Ihr Kind „im Wasser zu Hause“ ist, genießt es weitgehenden Schutz vor dem Ertrinkungstod. Dieses „Pfund“ wird in der hitzigen Diskussion um „Sport ist Mord“ häufig übersehen. Bereits bei den Rittern zählte Schwimmen zu den sieben Tugenden. Das war vor 600 Jahren, meine Herren Kultusminister!
Neben der Schwimmfähigkeit sind vielseitige Leistungsvoraussetzungen die beste Grundlage, um später hohe spezifische Belastungen wegzustecken. Und da gibt es in unserem Land erhebliche Reserven.
[1] Henke, Th.: Sportunfälle. Ministerium Gesundheit… NRW. 2003
[2] Sack, St.: Der Tod im Sport – ein internistisches Problem? Z. Herz. June 2004, Volume 29, Issue 4, pp 414-419
[3] sportscare, 3/99