Keine Macht den Drogen

Muss mein Kind irgendwann (als Spitzensportler) gesundheitsschädigende Substanzen oder Dopingmittel zu sich nehmen? Kann ich so etwas tatsächlich ausschließen? Oder verabreicht der Trainer nicht etwa doch irgendwelche Hilfsmittelchen?

Doping löst bei Sportskanonen den Schuss nach hinten aus.” Almut Adler, Lyrikerin


Ausschließen können Sie gar nichts. Es wird weiter den kleinen Trickdieb geben, den „guten“ Nachbarn mit pädophilen Neigungen, den auf Vorteil bedachten Versicherungsvertreter und eben auch viele Menschen, deren Karriere von Suchtmitteln begleitet ist. Die Kriminalität abschaffen zu wollen, ist eine ähnliche Illusion wie die Beseitigung der Krankheiten. Je offener eine Gesellschaft, desto mehr Gesetzesverstöße (FOCUS-Online 9.05.94). Ausgehend vom zähflüssigen Vorankommen im Kampf gegen Dopingmissbrauch, denken Sie nur an den Radsport, verweise ich auf Brechts guten Menschen von Sezuan. Dort wendet sich der Dichter zum Schluss an das Publikum mit den Worten:

Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach.

Sie selber dächten auf der Stelle nach

auf welche Weis dem guten Menschen man

zu einem guten Ende helfen kann.

Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!

Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Aber wenden wir uns nach diesem Vorspiel weiter Ihren Fragen zu. Die erste Frage schließt fast ein, dass man ohne Dopingmittel nicht zu sportlichen Höchstleistungen kommen kann. Mit dieser Auffassung ständen Sie übrigens, angefeuert durch eine hysterische Presse, nicht allein. Wir sollten uns aber hüten, Armstrong & Co zum Anlass zu nehmen, alle Sportler unter Generalverdacht zu stellen.  Das gilt besonders für deutsche Athleten. Selten wird in einem Land so viel getan, um Dopingmissbrauch im Sport zu verhindern, von der Gesetzgebung  (Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport) über Regelungen und Vereinbarungen im Bereich des Sports (NADA-Code, Anti-Doping-Regeln der Sportverbände), entsprechenden Klauseln in den Sponsoring- und Kadervereinbarungen bis zu den Verpflichtungserklärungen der Trainer. Übrigens bei  minderjährigen Kadersportlern müssen die gesetzlichen Vertreter die Vereinbarung unterschreiben. Damit willigen sie ein, die Anti-Doping-Bestimmungen des Verbands zu akzeptieren.

Zu den Olympischen Spielen in London 2012 wurden 5000 Dopingtests durchgeführt. Davon waren 0,2% (10) positiv. In den letzten 20 Jahren wurden weltweit 24 Schwimmer/innen des Dopingvergehens überführt. Deutsche Athleten waren in beiden Fällen nicht dabei. Bei Trainingskontrollen in Deutschland fiel nur einer von 1000 Tests positiv auf. Allerdings wird der konventionellen Dopinganalytik eine „katastrophale Erfolgsquote“ bescheinigt und Experten gehen davon aus, dass 40-60% der Eliteathleten dopen würden (Simon, Uni Mainz). Ich kann auf Grund meiner langjährigen Zusammenarbeit mit Topschwimmern eine solche Einschätzung nicht nachvollziehen, aber eben nur „aus dem Bauch ´raus“.

Wenn die Presse dem beträchtlichen Aufwand von weltweit etwa 300.000 Millionen Dollar im Anti-Doping-Kampf die zu geringe Erfolgsquote gegenüberstellt, dann muss man schon fragen, woran der Erfolg gemessen wird. Dazu IOC-Präsident Thomas Bach: „Der Zweck der Dopingbekämpfung ist ja nicht, jemanden aus dem Verkehr zu ziehen. Ihr Zweck ist der Schutz der sauberen Athleten“ (ZEITonline v. 29.11.07). Die Freigabe von Dopingmitteln für die Elitesportler ist keine Alternative, aber über die Vorgehensweise im Anti-Doping-Kampf sollte schon nachgedacht werden. So ist die Argumentation des bekannten schwedischen Sportmediziners Saltin für überlegenswert, auf die zahlreichen Wettkampfkontrollen zugunsten von unangekündigten Trainingskontrollen zu verzichten. Das Kompetenzgerangel zwischen organisiertem Sport und Staat, wer über den Betrüger richtet, wurde 2015 mit dem Gesetz gegen Doping im Sport[1] zumindest eingedämmt. Der Betrug im Sport ist keine rechtsfreie Zone.

Wir können aber nicht davon ausgehen, das Dopingproblem im Sport allein über ein Kontrollsystem zu lösen, ein System, das bei eingeschränkten Möglichkeiten immer mehr zu einer einzigen großen Drohgebärde mutiert. Wir lösen es auch nicht, wenn wir versuchen, den Sport aus der Gesellschaft auszuklammern, und besonders dem Leistungssport in eine Nische für gläserne Athleten verbannen. Doch schauen wir über den Tellerrand:

  • Obwohl Rauchen in den Industrieländern die häufigste vermeidbare Todesursache ist, rauchen in Deutschland 25% aller Erwachsenen regelmäßig (Deutsche Krebsgesellschaft).
  • Jedes Jahr sterben in Deutschland nach neuen Berechnungen mindestens 73.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs (Pressemitteilung der Bundesregierung).
  • Schätzungsweise drei bis zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland nehmen Medikamente ein, die sie nicht benötigen und mit denen sie attraktiver und leistungsfähiger werden wollen.
  • Unter dem Titel „Schlucker-Karrieren beginnen im Kindesalter“ erinnert FOCUSonline, dass in den USA Gehirndoping mit der Modedroge Ritalin fast schon zum Schulalltag gehört.
  • In Deutschland werden Hunderttausende Kinder aufgrund voreiliger Diagnosen mit Medikamenten angepasst und ruhiggestellt (ADHS).
  • Eine Kontrolle beim Bonn-Marathon 2009 ergab, dass bereits 60% der Läufer vor dem Start Schmerzmittel eingenommen hatten (Brune et al. 2009).
  • An einer Eliteschule des Sports nahmen 57% der Schüler Nahrungsergänzungsmittel zu sich (Striegel 2009/10).
  • Experten gehen davon aus, dass bundesweit heute etwa 200.000 Freizeitsportler massiv und risikoreich Anabolika und andere Substanzen konsumieren (Kindermann, Uni Saarbrücken).

Im DSV erklärt jeder Trainer mit dem Erhalt der ersten Lizenzstufe, dass er bei seinen Sportlern den Gebrauch verbotener Mittel (Doping) unterbindet und Suchtgefahren vorbeugt (s. Anlagen). Mit dem Ehrenkodex wird der oft einseitige Fokus des Trainerhandelns auf die Trainingsmethodik, erweitert auf den zwischenmenschlichen Umgang zwischen Trainer und Sportler, die moralische Verantwortung des Trainers für die Persönlichkeitsentwicklung des Sportlers und auf Fairness im Wettkampf. Mit dieser Erklärung lehnt sich bestimmt manch junger Trainer weit aus dem Fenster. Erfahren wir doch selbst aus Politik und Wirtschaft die Kurzatmigkeit mancher Erklärung. Und komme niemand mit dem Argument, die jungen Trainer mit ihrer Schmalspurausbildung können das gar nicht überschauen, wozu sie sich da verpflichtet haben. Die meisten Steuerbetrüger sind hochgebildete Leute. Der Arzt, der einem Patienten eine unnötige Operation oder Medizin aufschwatzt, hat sich schon lange vom Eid des Hippokrates verabschiedet.        Mit dem Ehrenkodex hat der deutsche Sport seine Trainer zunächst erst einmal verpflichtet. Eine Garantieerklärung ist das nicht und selbst die liefe, wie bei Ihrem Wagen nach einigen Jahren aus, wenn wir sie nicht ständig durch Fortbildungen „erneuern“ würden. Das Fördersystem im Leistungssport führt zu Erfolgsdruck, bei Athleten wie Trainer. Sieg oder Niederlage entscheiden über Zuwendungen, beim Trainer gegebenenfalls über den Arbeitsplatz. Zudem nimmt die Anzahl der Wettkämpfe in den letzten Jahren immer mehr zu, die Belastung steigt, die Entlastung schrumpft. Dadurch gelangen Trainer und Athlet in eine Zwickmühle. Man will gewinnen, aber „sauber“ bleiben. Dabei kommt dem Trainer eine Schlüsselrolle zu, die sich aus seinem Fachwissen und der emotionalen Nähe und Vertrautheit zu den Sportlern ergibt (s. NADA-Trainerplattform).  Er vermittelt nicht nur den Schrittstart, die Delfinbewegung, sondern bestimmt das soziale Klima in seiner Gruppe. Er legt auch Werte und Normen (Fair-play oder Schummel) fest, die letztlich den weiteren Lebensweg Ihres Kindes mitbestimmen.  Unersetzlich ist aber ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Trainer, Athlet u n d Eltern. Erkennen Sie gemeinsam Alarmsignale (s. E.20), denn Sucht entsteht meist nicht automatisch dadurch, dass Suchtstoffe verfügbar sind oder angeboten werden. Das Ziel einer olympischen Erziehung ist der mündige Athlet und nicht der gläserne Athlet, „der sich zum Spielball von Verbänden und Medien oder allgemein der öffentlichen Meinung machen lässt… Inquisitorische Maßnahmen sind keine geeignete Antwort auf das Dopingproblem im Sinne des Olympismus, sondern wenn es überhaupt eine angemessene Antwort gibt, dann lautet sie- Erziehung“ (Krüger, M. Olympische Erziehung. Schorndorf: Hofmann. 2004, S.95).

Fassen wir zusammen: Doping bleibt ein Phänomen, dass den Sport in seinen Grundfesten gefährdet. Eine Totalüberwachung der Sportler ist rechtlich, aus Datenschutzgrüngen wohl kaum möglich und nicht wünschenswert. Zudem gibt es noch kein abgestimmtes Vorgehen von Sport- und Strafgerichtsbarkeit. Es liegt also viel daran, wie vertrauensvoll Sie gemeinsam mit dem Trainer Ihres Kindes dieses Thema anpacken. Es muss, muss, muss doch auch ein Guter da sein, womit wir wieder bei Brecht sind.

Interessierten Eltern empfehle ich das Informationsangebot der NADA: https://www.gemeinsam-gegen-doping.de/, auf das sich auch einige Auszüge dieses Beitrages stützen.

Wenn der Widerstand die Kraft besiegt

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/antidopg/BJNR221010015.html

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