Habe immer einen Plan-B parat

Was passiert, wenn meine Tochter die erforderlichen Zeiten nicht schwimmt und nicht mehr am Stützpunkt trainieren darf?  

„Nenne dich nicht arm, weil deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind;  wirklich arm ist nur der, der nicht geträumt hat.“  Marie von Ebner-Eschenbach

Ich könnte jetzt antworten: Nichts, als dass sie weiter in ihrer alten Gruppe im Verein trainiert. Das lässt sich zwar organisatorisch noch einfach regeln, die damit verbundene Enttäuschung kann aber bis zum psychischen Trauma führen. Entscheidend sind dabei die Erwartungen, die Sie und Ihre Tochter mit dem Training im Stützpunkt verknüpft haben.                                                                                   So wie beim Schulbesuch allen klar ist, dass der Weg zum Abitur von den schulischen Leistungen abhängt, so wurde Ihrer Tochter wegen ihrer guten Leistungen im Schwimmen das Stützpunktraining empfohlen. Sie wird das als Auszeichnung empfinden und stolz darauf sein, gegebenenfalls begleitet vom Neid ihrer Trainingskameradinnen. Mit Aufnahme in den Trainingsstützpunkt hat eine neue Etappe der leistungssportlichen Entwicklung begonnen. Damit haben sich neue Chancen eröffnet, aber es bleiben Chancen. Es gibt weder eine Garantie zum Abitur noch zum Champion.

Talentförderung ist immer mit Selektion verbunden. Als Ihre Tochter für das Stützpunkttraining vorgeschlagen wurde, ist zugleich einigen ihrer Trainingspartnerinnen dieser Schritt verwehrt worden, da deren Leistungen dafür nicht ausreichten. Das wird von einigen Eltern immer noch als inhumaner Akt getadelt. Sie übersehen dabei, dass selbst die Schule (und letztlich die Arbeitswelt) eine selektive Institution ist. Es werden sich bei hohen Zielstellungen, wie sie nun einmal für den Leistungssport zutreffen, immer nur einige als geeigneter als andere erweisen. Sportwissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass nur 0,123% aller Sportler einmal den Weg „nach ganz oben“ schaffen (Kupper, 1990).

Jeder neue Schritt im langfristigen Leistungsaufbau führt Ihre Tochter weiter in die Welt des Leistungssports mit seinen Normen, Pflichtzeiten, Wettkampf- und Verhaltensregeln. Im DSV nehmen tausende Kinder Anlauf, aber olympischer Lorbeer ist nur wenigen vorbehalten. Die Mehrheit wird auf der Strecke bleiben, vor allem wenn das Ziel zu hochgesteckt ist. Leistungssport erfordert eben neben guten körperbaulichen und konditionellen Voraussetzungen auch „psychische Robustheit, emotionale Stabilität und überdurchschnittlich hohe Leistungsorientierung“ (Sack, 1980). Trotzdem erinnern sich viele ehemalige Schwimmer/innen gern einer sportlichen Laufbahn, die „nur“ mit einem Deutschen Meister oder Jugendeuropameister gekrönt war. Sie sind heute noch aktive Masterschwimmer; der Schwimmsport hat sie nicht losgelassen. Sie haben in unterschiedlichen Leistungssituationen Erfahrungen gesammelt, die für ihre weitere Entwicklung nützlich sind.

Halten wir fest: Selektion ist im Leistungssport systemimmanent, also normal. Was müssen wir aber tun, damit sie auch als Normalität empfunden wird? Natürlich bleibt das eine schwierige Gratwanderung. Da ist einerseits der unbändige Glaube an das Ziel, andererseits sollte man auch nicht „aus allen Wolken fallen“, wenn dies nicht erreicht wird. Das Motto „Sport ist alles“, bestimmt zwar zeitweilig den Lebensinhalt von Spitzensportlern, z.B. in Vorbereitung auf Olympische Spiele, aber das ist die Spitze der Kaderpyramide.

Wie die Rückkehr aus einem Stützpunkt oder einer Sportschule psychisch verkraftet wird, hängt unmittelbar mit der Zielsetzung ab, die einen einst dorthin führte. Mit jedem Ziel verbindet sich ein Erwartungsdruck, der besonders extrem sein kann, wenn die Eltern das Ziel vorgeben. Wir können aber nicht alle Faktoren und Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung (Wachstum, Reifung, Konkurrenz, soziales Umfeld usw.) bereits bei der Zielstellung voraussehen. Das trifft besonders bei langfristigen Zielen zu, die dem Übergang in das Stützpunkttraining oder an eine Sportschule zu Grunde liegen. Man sollte sich auch in dem Fall, der ja erst einmal dem Ehrgeiz schmeichelt, auf Hindernisse einstellen, die dabei im Wege stehen können.

Kommen wir nun zum Kern Ihrer Frage: Was ist zu tun, wenn ein einmal eingeschlagener Weg (Stützpunkt, Sportschule) wegen unzureichender Leistungen nicht mehr gegangen werden kann?

  • Führen Sie aufklärende und bewusst machende Gespräche. Versuchen Sie dabei die Ursachen aus der Sicht Ihres Kindes zu ergründen. Streben Sie ein einheitliches Vorgehen mit dem Trainer an. Das ist in dieser Situation wichtig, aber nicht einfach, da viele Eltern immer noch von der Begabung ihres Kindes überzeugt sind. Es können auch private Krisen sein. Die nichtbewältigte Situation darf nicht zur Selbstunsicherheit führen. Machen Sie dem Kind bewusst, dass eine Sportkarriere immer nur ein kurzer Abschnitt im Leben ist.
  • Machen Sie Ihrem Kind keine Vorwürfe, vielleicht in der Art „Weißt du überhaupt, was uns das Ganze gekostet hat…“. Halten Sie ihre Kritik in Schranken. Das mangelnde Talent haben Sie mit in die Wiege gelegt. Durch permanente Kritik verliert Ihr Kind den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit, nicht nur im Schwimmen.
  • Wenn Ihr Kind lernt, seine eigenen Grenzen einzuschätzen und zu akzeptieren, den eigenen Ehrgeizin realistische Bahnen zu lenken, dann wird es auch Kraft und Selbstvertrauen erlangen, mit dieser Entscheidung fertig zu werden und sich auf sich und seine Fähigkeiten zu konzentrieren.
  • Stellen Sie ihrem Kind nicht zu hohe Forderungen. Wenn es dem Erfolgsdruck nicht gewachsen ist, besteht die Gefahr, dass es mit unlauteren Mitteln seine Leistungsgrenzen erweitern möchte (s. E.20).
  • Stehen Sie uneingeschränkt hinter Ihrer Tochter, auch wenn diese nicht die Schwimmerin wird, die sie sich vorgestellt hatten.
  • Pflegen Sie weiterhin einen guten Kontakt zum Verein Ihres Kindes. Zurück aus dem Stützpunkt ist nicht das Aus im Schwimmen. Vielleicht ist auch ein Wechsel in eine andere Sportart zu empfehlen (besonders in größeren Sportvereinen gut möglich).
  • Fördern Sie Erfolge Ihres Kindes in anderen Lebensbereichen. Zwingen Sie aber Ihre Hilfe nicht auf. Auch hier zählt, mit zunehmendem Alter die Zügel lockerer zu lassen.
  • Nutzen Sie nicht das „familiäre Machtgefälle“ zu Bestrafungen oder unüberlegten Maßregeln, da diese keine Einsichten bei Ihrem Kind hervorrufen.

(teilweise angelehnt an: „Gemeinsam gegen Doping – Ein Ratgeber für Eltern von jungen Sportlerinnen und Sportler“, Bonn 2009, kostenlos erhältlich per Mail: info@nada-bonn.de).

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