Im Leben gibt es etwas Schlimmeres als keinen Erfolg zu haben: Das ist, nichts unternommen zu haben. (Franklin D. Roosevelt)
Überall wo Spitzenleistungen angestrebt werden, sei es in der Musik, der Malerei oder im Sport, die Chance im Mittelmaß stecken zu bleiben ist erheblich größer als zur Spitze zu gelangen (s. A.2). Leistungssportliche Karriere ist ein stetes Wechselbad zwischen Traum und Trauma, zwischen Erfolg und Misserfolg, zwischen Hoffnung und Enttäuschung, dem internationalen Durchbruch und frustrierendem Einbruch, zwischen Schulversagen und erfolgreichem Examen (Brettschneider & Heim 2001). Da der Weg zum Erfolg nie geradlinig verläuft, wird sich der durchsetzen, der gelernt hat mit Schwierigkeiten und Hindernissen fertig zu werden. Dem Erfolg sind nun einmal die „Mühen der Ebene“ vorgelagert.
Wenn aber das Pendel zwischen Erfolg und Misserfolg über lange Zeit negativ ausschlägt, die Leistungsentwicklung trotz großen Trainingsaufwandes stagniert, dann sollte berechtigt nach dem Sinn des Ganzen gefragt werden. Das trifft im Schwimmen besonders den Jugendbereich. Etwa zwei Drittel der Schwimmer/innen geben das Leistungstraining am Ende des Aufbautrainings oder im Anschlusstraining auf. Warum? Zum einen befinden sie sich in einer Lebensphase, wo die Weichen für das weitere Leben gestellt werden (Schulabschluss, Beruf, Studium), zum anderen erfordert das Anschlusstraining – wie der Name sagt – den Anschluss an das internationale Leistungsniveau. Und das ist nun einmal nur wenigen beschieden. Das zu erkennen hilft, das Ende der leistungssportlichen Laufbahn nicht als Niederlage zu empfinden.
Während viele Leistungssportler das langfristig geplante Karriereende (z.B. die 30jährige Schwimmerin nach den Olympischen Spielen) ohne größere Probleme bewältigen, kann der plötzliche Abbruch (Dropout) im Anschlusstraining von Krisen begleitet sein. Das Selbstwertgefühl ist beeinträchtigt. Zweifel und Angst bis zur Orientierungslosigkeit treten auf, besonders wenn der Schritt fremdbestimmt (alleinige Entscheidung des Trainers, Druck durch die Schule) erfolgen musste. In dieser Situation, bei allem Respekt vor der Mündigkeit des Sportlers, dürfen Sie Ihr Kind nicht allein lassen. Wie können Sie ihm in dieser Situation beistehen.
- Zuerst muss für Sie klar sein: Ihr Kind ist kein Versager! Seine Entscheidung, die leistungssportliche Laufbahn zu beenden, teilt es mit vielen Gleichaltrigen. Es ist weniger sein Problem, sondern ein zutiefst gesellschaftliches. Die schulpolitischen Veränderungen (s. A.15) haben die Arbeit von Sportvereinen nachhaltig verändert. Die hohe „Drop-Out-Rate“ spiegelt die Rahmenbedingungen und Wertordnungen der Gesellschaft nicht nur im Sport, z.B. auch in der Berufsausbildung und im Studium. Es ist zwar erfreulich, aber nicht zwangsläufig, dass ein einmal begonnener Weg zu Ende gegangen wird.
- Ihr Kind braucht Ihren Rat. Treffen Sie Ihre Entscheidung nicht „aus dem Bauch heraus“, sondern wägen Sie die Umstände (Schule: Sport: Freizeit: Gesundheit) gegeneinander ab und stützen Sie sich dabei auf eine sachliche Einschätzung von Trainer, Lehrer sowie gegebenenfalls Arzt. Beachten Sie dabei, dass Jugendliche besonders in der Pubertät (s. B.15) auf der Suche nach dem eigenen Ich sind und ihren Standpunkt häufig wechseln. Die Gefahr psychischer Traumatisierung besteht besonders, wenn der Sport bislang im Leben Ihres Kindes einen überhöhten Stellenwert eingenommen hat und zudem noch zur „Befriedung“ der Eltern betrieben wurde.
- Machen Sie deutlich, dass das Ende vom Leistungssport nicht das Ende vom Schwimmen (Breitensport) und das Ende vom Schwimmen nicht das Ende vom Leistungssport sein muss (Wechsel in andere Sportart).
- Nutzen Sie die größere Mobilität und zugleich innere Unruhe bei Ihrem Kind bei der Suche nach neuen Aktivitäten. Helfen Sie Ihrem Kind zu begreifen, dass die nun freien Kapazitäten für die schulische/berufliche Entwicklung weitere Räume öffnen.
- Erinnern Sie sich gemeinsam der schönen Zeiten in der Trainingsgruppe, bei Lehrgängen und Wettkämpfen und machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass das keine vertane Zeit war. Zugleich sind aber ähnliche Erlebnisse in neuen Gruppen (Breitensportgruppe, anderes Hobby, neue Freunde) möglich.
- Fordern Sie vom Trainer einen Abtrainingsplan (s.C.07).
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, „dass Athleten, die auf allgemeine Bewältigungsstrategien wie die soziale Unterstützung durch Familie, Freunde, Trainer oder Lehrer sowie eine im Vorfeld intensiv geführte Karriereplanung zurückgreifen können, den Übergang in die Nachkarriere in den meisten Fällen deutlich positiver gestalten“ (Albert 2010, S. 68). Sie sind also gut beraten, sich mit dieser Problematik nicht erst zu befassen, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist.